Der Digitale Produktpass (DPP) ist ein Schlüsselprojekt der Europäischen Union, das sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher:innen neue Möglichkeiten eröffnet. Der DPP soll gewisse verpflichtende Informationen zu einem Produkt digital zugänglich machen, zum Beispiel den CO2-Fußabdruck, Reparierbarkeit oder toxische Inhaltsstoffe. Dies soll die Transparenz der Produktdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhöhen.
Der DPP soll eine grüne und digitale Wirtschaft fördern. Bei seiner technischen und organisatorischen Umsetzung gibt es allerdings auch zahlreiche Herausforderungen.
Wir haben mit Jens Gayko (Geschäftsführer Standardization Council Industrie 4.0 bei der DKE) über die Entwicklung des Digitalen Produktpasses gesprochen. Er beleuchtet die Rolle der Normung, technische und wirtschaftliche Vorteile sowie mögliche Risiken.
Die technische Umsetzung des Digitalen Produktpasses (DPP) erfolgt vor dem Hintergrund eines klar definierten gesetzlichen Rahmens. Der DPP ist bereits zentraler Bestandteil der neuen europäischen Batterieverordnung sowie der europäischen Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte. Dieser gesetzliche Rahmen wird durch Normen und Standards konkretisiert.
Die Arbeiten am Digitalen Produktpass würden derzeit vor allem auf europäischer Ebene vorangetrieben, erklärt Jens Gayko. Dennoch sei die enge Verknüpfung mit internationalen Normen von zentraler Bedeutung. Das Ziel: ein genormter Digitaler Produktpass mit globaler Anschlussfähigkeit.
Die enge Zusammenarbeit der Standardisierung mit der Gesetzgebung – speziell auf europäischer Ebene – ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Digitalen Produktpasses.
Die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie bringt Erfahrungen aus nationalen und internationalen Normungsprojekten ein, insbesondere aus dem Bereich Industrie 4.0. Dabei gilt es, verschiedene Anforderungen zu berücksichtigen und Innovation zu fördern.
„Normung beschreibt idealerweise nicht, wie man etwas machen muss, sondern zeigt einen möglichen Weg, wie man etwas erfüllen kann – andere Wege sind auch denkbar,“ so Gayko.
Die technische Umsetzung eines DPP sei zwar keine „Rocket Science“, so Gayko, doch die organisatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen seien nicht zu unterschätzen.
Eine Kernfrage ist die Durchgängigkeit der digitalen Wertschöpfungskette. Daten müssen nicht nur erfasst, sondern über alle Stufen der Lieferkette hinweg vertrauenswürdig und anonymisiert weitergegeben werden. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) könnten hier an ihre Grenzen stoßen.
Generell sieht Gayko die größten Herausforderungen auf KMUs zukommen: Eine zu schnelle und umfassende Einführung des Digitalen Produktpasses berge das Risiko einer zusätzlichen bürokratischen Belastung. Für die europäische Industrie, die stark von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist, könne das zu einem Wettbewerbsnachteil führen.
Der DPP bietet jedoch auch enormes Potenzial. Hersteller können ihre Wertschöpfungsketten durchgehend digitalisieren und auf diese Weise Qualitätssicherung, Rückverfolgbarkeit und Effizienz verbessern, führt Gayko aus.
Das Interesse der Konsument:innen an Transparenz wachse stetig: Sie möchten genauer nachvollziehen können, wo ein Produkt herkommt, wie es produziert wurde und welche ökologischen Auswirkungen es hat. Der Digitale Produktpass biete eine Antwort auf diese steigenden Anforderungen und ermögliche eine umfassendere Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette, so Gayko.
Auch in Bezug auf Reparier- und Recyclingfähigkeit von Produkten ergeben sich durch den DPP Vorteile. Beispielsweise könnten durch Datenplattformen Altgeräte leichter einem Zweitwert oder einer Recyclinglösung zugeführt werden.
Auch wenn viele Details des DPP noch in der Entwicklung sind, empfiehlt Gayko Unternehmen, jetzt schon aktiv zu werden. Eine zentrale Maßnahme: der Aufbau digitaler Zwillinge für Produkte.
Schulungsangebote und Einblicke in Best Practices anderer Unternehmen könnten ebenfalls helfen, sich frühzeitig auf die neuen Anforderungen einzustellen, so Gayko.
Der Digitale Produktpass ist ein ambitioniertes Projekt mit weitreichenden Vorteilen für Unternehmen, Verbraucher:innen und die Umwelt. Die erfolgreiche Einführung wird jedoch von der engen Zusammenarbeit zwischen Industrie, Gesetzgebung und Normungsgremien abhängen.
Unternehmen sollten die Gelegenheit nutzen, sich frühzeitig auf diese Entwicklung vorzubereiten und die Chancen der Digitalisierung aktiv zu nutzen.
Das Interview mit Jens Gayko fand am Rande des OVE Innovation Day 2024 statt, bei dem er eine Keynote zur Normungsarbeit in Bezug auf den Digitalen Produktpass hielt.