Analytische Berechnungen, Messungen in der Realität, ein daraus resultierender Digitaler Zwilling und Testversuche im Labor – das sind die Zutaten für eine preisgekrönte Masterarbeit.
Im OVE Fem-Interview gibt Carina Lehmal, Dissertantin am Institut für Elektrische Anlagen und Netze an der Technischen Universität Graz und Gewinnerin des 1. ORF-/Infineon-Frauenförderpreises für Digitalisierung und Innovation, Einblicke in ihre preisgekrönte Abschlussarbeit.
Sprachliche und tänzerische Kompetenzen zeugen von der Vielseitigkeit der umtriebigen Elektrotechnikerin und komplettieren das Bild der sympathischen Allrounderin.
OVE Fem: Herzliche Gratulation zur Verleihung des Frauenförderpreises für Digitalisierung und Innovation, der heuer erstmalig von ORF und Infineon gemeinsam verliehen wurde!
Sie wurden damit für Ihre Masterarbeit ausgezeichnet. Worum geht es in dieser Arbeit – kurz und prägnant, in drei Sätzen zusammengefasst? Was ist das Besondere an der Arbeit?
Carina Lehmal: Um den steigenden Anforderungen einer sauberen, sicheren und nachhaltigen Energieversorgung gerecht zu werden, steigt der Anteil an regenerativen Energiequellen und damit auch die Anzahl an Wechselrichtern im elektrischen Stromnetz. Wechselrichter sind die Schlüsselkomponente des Wandels.
Sie erzeugen jedoch per se, aber auch durch dynamische Interaktionen mit dem Stromnetz Instabilitäten, die an das Stromnetz weitergegeben werden. In der Masterarbeit wird anhand eines Industriebeispiels die erfolgreiche Integration einer 8-MW-Photovoltaikanlage in ein Werksnetz über innovative Simulations-, Modellierungs- und Testverfahren demonstriert, um so einem Blackout vorzubeugen.
Das Besondere an der Masterarbeit ist die Kombination von analytischen Berechnungen, Messungen in der Realität und die darauf basierende Erstellung eines Digitalen Zwillings sowie Testversuchen im Labor, um ein fundiertes Ergebnis zu ermitteln – für ein Thema, das gerade jetzt immer wichtiger wird.
OVE Fem: Dieser Preis war nicht der erste, den Sie mit Ihrer Masterarbeit erzielt haben – die Arbeit wurde im Vorjahr ja auch schon mit dem ECSEL Austria-Preis ausgezeichnet. Wie kam es zur Einreichung? Wer bzw. was hat Sie motiviert?
Lehmal: Als die Masterarbeit beendet war, hat mich mein jetziger Doktorvater auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht und gemeint, dass das Thema ideal dazu passen würde.
Durch eine Teilnahme könnte ich im nationalen Vergleich die Qualität meiner Masterarbeit einfach abschätzen. Mit diesem Ansporn habe ich eingereicht und auch gewonnen.
OVE Fem: Wann und warum fiel für Sie die Entscheidung, den Weg in die Elektrotechnik einzuschlagen?
Lehmal: Im Gymnasium habe ich mich mehr für Naturwissenschaften und Mathematik interessiert als für Sprachen, weshalb ich den Mathematikzweig absolviert habe. Dabei habe ich zum ersten Mal so richtig von Kraftwerken gehört und auch, dass aus Sonne und Wasser Energie erzeugt werden kann.
Das hat mich fasziniert. Von meiner Familie habe ich dann einen elektrotechnischen Experimentierkoffer bekommen, in dem sich neben Magnetismus-Experimenten auch eine kleine PV-Zelle befand; bei richtiger Verschaltung konnte man eine LED zum Leuchten bringen.
Das „Herumexperimentieren“ war für mich unglaublich lustig und meine Familie motivierte mich, zum Tag der offenen Tür der HTL Bulme in Graz zu schauen. Dort hat es mir gefallen, die gezeigten Laborübungen waren sehr spannend, und so habe ich mich nach der 4. Klasse dazu entschieden, an die HTL zu wechseln – mit Vertiefungsrichtung Elektrotechnik.
OVE Fem: Sie haben Ihr Studium an der TU Graz sehr konsequent und zielstrebig verfolgt, Ihr Lebenslauf zeugt von „interessierter Umtriebigkeit“, die durch zahlreiche Praktikumsstellen – sowohl an der TU Graz als auch in China und Polen – dokumentiert wird.
Woher kommen Elan und Disziplin, die in diesem Fall zweifelsohne gefragt ist?
Lehmal: Lernen ist mir generell nie schwergefallen, und ich habe mich immer über Anerkennung aufgrund guter Noten gefreut. Somit waren gute Noten eine Frage meines Stolzes.
Des Weiteren waren die Praktika im Ausland eine Bestätigung, dass sich vielseitige Qualifikationen und breites Wissen im Arbeitsalltag auszahlen und einen in der Karriere weiterbringen.
OVE Fem: Auf ein Praktikum bei Proton in Chengdu in China kann wohl kaum eine Bachelor-Studentin verweisen – wie kam es dazu und welche wichtigen Erfahrungen aus dieser Ferialtätigkeit möchten Sie nicht missen?
Lehmal: Ich habe in der HTL angefangen, Chinesisch als Wahlfach zu lernen, da mir Englisch alleine zu wenig war und mein bester Freund zusätzlich auch gebürtiger Chinese ist.
So konnte ich eine dritte Sprache mit Übungspartner und täglichen Konversationen erlernen. Als es um ein Pflicht-Praktikum für die HTL ging, hat mich ein Familienfreund gefragt, ob mich ein Praktikum bei einer technischen Firma in China interessieren würde und mir angeboten, über dortige Geschäftsfreunde bei der Organisation behilflich zu sein.
Diese Möglichkeit habe ich genutzt und konnte einmal während der HTL und einmal während des Studiums jeweils bei derselben Firma in Chengdu arbeiten. Während meines Aufenthalts habe ich Chinesisch wirklich im Alltag anwenden können, dadurch viele Kenntnisse dazugewonnen und gleichzeitig eine völlig andere Kultur kennengelernt.
Ich habe interessante Speisen probiert, einige davon lieben gelernt, mich öfters in Chengdu verirrt, aber jedes Mal - oft auch über abenteuerliche Exkursionen, die doch schon mal mitten in der Nacht in einem Nudelshop einer alten Chinesin endeten - wieder heimgefunden. Für mich waren es die ersten Monate, in denen ich auf mich alleine gestellt war und ein Stück weiter erwachsen wurde.
OVE Fem: Womit befassen Sie sich aktuell in Ihrem Doktoratsstudium?
Lehmal: Ich mache genau dort weiter, wo ich mit meiner Masterarbeit aufgehört habe. Ich beschäftige mich mit der Stabilität und den Kontrollalgorithmen von Umrichtern und wie sich diese auf das Netz auswirken.
Dabei betrachte ich die Integration einer geringen Anzahl an Umrichtern bis hin zu tausenden Stück, da in Anbetracht auf die Energiewende Umrichter das überwiegende Bauteil im Energienetz darstellen werden.
Aufgrund der leistungselektronischen Eigenschaften der Umrichter ändert sich auch das Verhalten unseres Netzes, was sich auf Fehlerzustände und Schutzgeräte sowie Netzalgorithmen auswirkt.
Ich kombiniere analytische Ansätze, Simulationen, Labortests und Ergebnisse von Projekten mit Industriepartnern, um Aussagen über Stabilität, Netzsicherheit und die Versorgungszuverlässigkeit unseres zukünftigen Netzes zu machen.
So können Standards um Umrichterspezifikationen erweitert, Schutzalgorithmen angepasst und ein verheerendes Blackout verhindert werden.
OVE Fem: Aus heutiger Sicht: In welche Richtung möchten Sie in Zukunft beruflich gehen?
Lehmal: Zurzeit konzentriere ich mich auf mein Doktoratsstudium und gleichzeitig auf meine Arbeit als Produktmanagerin bei der Firma Greenwood-Power. Weiterführende Entscheidungen sind noch nicht gefallen, aber ich kann mir definitiv eine Karriere in der Wirtschaft vorstellen.
OVE Fem: Mit Ihrem sehr beachtlichen Lebenslauf sind Sie im besten Sinne des Wortes ein Role Model für Mädchen und junge Frauen. Welchen wichtigen Ratschlag würden Sie Schülerinnen, die sich in einer ersten beruflichen Orientierungsphase befinden, mit auf den Weg geben?
Lehmal: Sich jedes Thema einmal anzuschauen, egal ob es zu den so genannten Stärken oder Schwächen gehört. Erlernen kann man jedes Fachgebiet, egal wie kompliziert es auch erscheint.
Man findet überall Freunde, die einen unterstützen können, und es ist immer gut, Fragen zu stellen, wenn man etwas nicht versteht - auch an Professoren oder Lehrer. Niemand ist perfekt. Meistens versteht man ein Konzept erst durch Fehler bzw. Fragen.
Wenn schon einmal Interesse für ein Thema da ist, dann ist das eine ideale Ausgangssituation, um ein späteres Studium etc. durchzuziehen.
Wenn man zwischenzeitlich draufkommt, dass es doch nicht passt, kann man schnell auch in ein anderes Gebiet wechseln. Im Leben kann und soll man viel ausprobieren und nie aufhören, zu lernen und sich weiterzubilden.
OVE Fem: Ihr Forschungsalltag macht einen sehr spannenden Eindruck – wie „ent“spannen Sie? Womit beschäftigen Sie sich gerne in Ihrer Freizeit?
Lehmal: Mein liebstes Hobby, das ich auch seit meinem vierten Lebensjahr mache, ist Ballett tanzen. Ich habe neben meiner Schulausbildung die Ballettausbildung zu einer professionellen Tänzerin and der Oper Graz absolviert und mit Zeugnissen der Wiener Staatsoper die Endprüfung bestanden.
Tanzen war für mich seit jeher eine Möglichkeit, abzuschalten Ballett ist sehr detailreich, man muss auf jede kleinste Bewegung achten, wodurch man fokussiert sein muss und mit den Gedanken nicht abschweifen kann. So bekomme ich den Kopf frei, steh vom Schreibtisch auf und mache Bewegung. Für mich der ideale Ausgleich.
OVE Fem: Vielen Dank für das interessante Interview.