Die Suche nach Überlebenden nach einem Erdbeben, Erdrutsch oder Lawinenabgang ist oft äußerst komplex. Das Hauptziel besteht darin, schnellstmöglich zu ermitteln, wo sich Überlebende unter den Trümmern befinden.
Ein möglicher Lösungsansatz bietet sich durch den Einsatz von sogenannten "Roboroaches" oder „Cyborg-Kakerlaken“. Dabei handelt es sich um Kakerlaken oder andere Insekten, die mit Mikrochips und Sensoren ausgestattet sind, um ihre Position, Bewegungen und Umgebungswahrnehmung zu überwachen.
Auf diese Weise können die ferngesteuerten Insekten in die Trümmer von Gebäuden geschickt werden, um nach Überlebenden zu suchen. Die digitalen Sensoren an den Kakerlaken ermöglichen es, ihre Position in Echtzeit zu verfolgen und den Rettungsteams bei der Koordination ihrer Suche zu helfen, was die Auffindung potenzieller Überlebender beschleunigen könnte.
Dieses Szenario veranschaulicht die bio-digitale Konvergenz, welche die Verschmelzung von biologischen Prozessen und digitalen Technologien beschreibt. Durch diese Verschmelzung entstehen neue Werkzeuge, Anwendungen und Technologien, die potenziell tiefgreifende Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche haben könnten – von der Medizin über die Landwirtschaft sowie Industrie und Fertigung bis hin zum Umweltschutz.
In Zukunft wird das Potenzial der bio-digitalen Konvergenz für unseren Alltag signifikant sein. Jedoch wachsen mit den Vorteilen technologischer Fortschritte und den sich entwickelnden sozialen Innovationen auch die damit verbundenen Herausforderungen und bisher unkontrollierten Grenzen stark an.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen frühzeitig erkannt und durch geeignete Konsensbildung reflektiert werden, um noch während der Entwicklung dieser Technologien berücksichtigt werden zu können.
Die elektrotechnische Normung spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Implementierung von Technologien im Bereich der bio-digitalen Konvergenz, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Systeme miteinander kompatibel, sicher und effizient funktionieren.
Normen helfen auch dabei, Vertrauen in die Technologie zu schaffen und erleichtern die Akzeptanz durch Regulierungsbehörden und die breite Öffentlichkeit. Die umfangreiche Arbeit der Normungsexpert:innen trägt dazu bei, die Qualität und Sicherheit der fortlaufenden technologischen Innovation zu gewährleisten.
Die Standardisierungsorganisationen IEC und ISO arbeiten international zusammen, um ihre Expertise im Bereich der Elektrotechnik und Biotechnik zu bündeln. Dazu wurde ein eigenes Standardisierungskomitee als Joint System Committee bio-digitale Konvergenz unter der technischen Leitung von IEC gegründet, kurz JSyC BDC. Das Gremium wird dabei neue Themen und Probleme im Bereich der bio-digitalen Konvergenz identifizieren, bewerten und durch Normungsaktivitäten Lösungen schaffen.
Anders als Technical Committees arbeiten System Committees nicht in einem klar abgesteckten Themengebiet, sondern breitgefächert und interdisziplinär. Ihre Aufgabe ist es, sich intensiv mit verwandten technischen Komitees auszutauschen, ohne in deren Arbeit einzugreifen.
Daher arbeiten SyCs vorwiegend an horizontalen Normen, die eine breite Anwendung finden und mögliche Standardisierungslücken zwischen verschiedenen Themenbereichen schließen. Beispiele für solche Themengebiete sind IEC/SC 62D Particular medical equipment, software, and systems, IEC/TC 91 Electronics assembly technology, ISO/TC 276 Biotechnology und ISO/TC 299 Robotics.
Das Reverse Engineering von lebenden Systemen ist ein fortschrittlicher wissenschaftlicher Ansatz, bei dem komplexe biologische Strukturen in ihre grundlegenden Bestandteile zerlegt werden, um ihre Funktionsweise zu verstehen. Dazu gehören beispielsweise biologische Organismen, Zellen oder Gewebe.
Ein Forschungsbereich ist die Rekonstruktion funktioneller Gewebe oder Organe, indem Biomaterialien mit Zellen und Wachstumsfaktoren kombiniert werden. Dabei entstehen komplexe Strukturen und Netzwerke, die das natürliche Gewebe z.B. mittels 3D-Drucktechnologien nachbilden können.
Mit diesen Themen befasst sich die Working Group 1 des Joint Commitees. Inhaltliche Parallelen gibt es beispielsweise mit den Technischen Komitees ISO/TC 215 Health Informatics, ISO/TC 276 Biotechnology, ISO/TC 229 Nanotechnologies und ISO/TC 266 Biomimetics sowie dem ISO/IEC JTC 1 Information Technology.
Die Verknüpfung von Lebenssystemen mit digitalen Systemen hat ein breites Anwendungsspektrum darunter etwa die „Cyborg-Kakerlake“. Von großer Bedeutung ist dieser Bereich auch für das Gesundheitswesen. Die aktuellen Entwicklungen umfassen die sichere Diagnose von Krankheiten, die Identifizierung multiresistenter Keime, die frühzeitige Erkennung beginnender Epidemien sowie den Nachweis von Giften oder Krankheitserregern im Trinkwasser und in Lebensmitteln.
Ein vielversprechendes Instrument zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind neuartige und stark verbesserte Biosensoren.
Die Working Group 2 des JSyC BDC arbeitet in diesem Bereich eng mit dem ISO/IEC Joint Technical Committee (JTC 1) für Informationstechnologie zusammen, aber auch mit IEC/SC 62A Common aspects of medical equipment, software and systems, IEC/SC 62D Particular medical equipment, software and systems sowie IEC/TC 91 Electronics assembly technology.
Durch den Einsatz von Technologien wie implantierbaren Geräten, Exoskeletten oder Gehirn-Maschine-Schnittstellen kann die menschliche Leistungsfähigkeit, Gesundheit oder Lebensqualität gesteigert werden.
Eindrucksvoll beweisen dies zum Beispiel smarte Prothesen, die mit dem Nervensystem verbunden sind und so gesteuert werden können. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz lernen sie, den menschlichen Willen zu erkennen.
Die Working Group 3 befasst sich mit Human Augmentation Technologien, die die körperlichen und kognitiven Fähigkeiten von Menschen verbessern und erweitern sollen. Dabei arbeiten sie beispielsweise mit IEC/SyC AAL Active Assisted Living, IEC/TC 124 Wearable electronic devices and technologies oder auch ISO/TC 299 Robotics zusammen.
Durch erhöhte Vorhersagbarkeit kann die Effizienz und Nachhaltigkeit der Nahrungsmittelproduktion verbessert werden. Werden biotechnologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen eingesetzt oder Tiere mit Sensoren ausgestattet, können Landwirte präzisere Entscheidungen treffen – etwa was den Wasser- oder Nahrungsbedarf betrifft. So lassen sich Erträge steigern und Ressourcenverschwendung minimieren.
Die Arbeit der Working Group 4 des Joint Commitees ist daher etwa für ISO/TC 34 Food products oder ISO/TC 134 Fertilizers, soil conditioners and beneficial substances relevant.
Von Sensoren gelieferte Daten ermöglichen die Echtzeit-Überwachung der bebauten Umwelt, der menschlichen Aktivitäten und der natürlichen Welt, sowohl an Land als auch unter Wasser (mit Unterwasser-Sensornetzen). Als Einsatzgebiet dieser Daten bietet sich zum Beispiel die Überwachung von Umweltverschmutzung, zum Schutz gefährdeter Arten und zum Erhalt natürlicher Lebensräume an.
Die Arbeit der Working Group 5 beschäftigt sich daher mit Standards, die beispielsweise in ISO/IEC JTC 1/SC 41 Internet of Things and Digital Twin, ISO/TC 207 Environmental management oder SyC Smart Cities Electrotechnical aspects of Smart Cities erarbeitet werden, und vernetzt diese Themenbereiche.