e+i aktuell: Interview mit Tanja Kienegger, Siemens Mobility Austria

Seit einem Jahr steht Tanja Kienegger an der Spitze von Siemens Mobility Austria, einem der innovativsten Unternehmen des Landes. Die e+i hat mit ihr über den Wandel der Mobilität und ihren Karriereweg gesprochen.

e+i:  Wir erleben derzeit eine Veränderung im Mobilitätsverständnis der Menschen. Welche Herausforderungen kommen im Bereich Mobilität in den nächsten Jahren auf uns alle und auch auf Ihr Unternehmen zu?

Tanja Kienegger: Mit Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Temperaturrekorden oder immer massiveren Unwettern und Überflutungen ist der Klimawandel bei jeder und jedem Einzelnen von uns angekommen. Um ihn bestmöglich einzudämmen, ist es wichtig, die CO₂-Emissionen zu reduzieren.

Ein wesentlicher Stellhebel ist dabei der Verkehr: Dieser ist weltweit für 21 % der Emissionen verantwortlich, in Österreich sogar für etwa 30 %. Deshalb müssen wir die Mobilitätswende vorantreiben und den Verkehr von der Straße auf die umweltfreundliche Schiene verlagern.

Damit uns das gelingt, müssen wir die Bahn modernisieren und weiterentwickeln, indem wir sie digitalisieren. Die Bahn von morgen muss außerdem leistungsfähiger sein, auch grenzüberschreitende Verkehre müssen einfacher werden. Zudem ist es notwendig, die Bahn noch kunden- und marktfreundlicher zu gestalten.

Genau hier setzt Siemens Mobility an: Wir sehen das größte Potenzial in der Digitalisierung und in der Modernisierung der Infrastruktur und der Züge. [...]
 

e+i:  Die Bahn ist in Österreich ein Verkehrsmittel mit hohem Stellenwert und langer Tradition. Welche konkreten Digitalisierungsschritte werden nun gesetzt, was nehmen Kunden davon wahr?

Kienegger: Eine Innovation, welche die Bedeutung der Digitalisierung im Verkehr unterstreicht: Wir haben in der neuen U-Bahn, die wir für die Wiener Linien liefern, ein Fahrgastinformationssystem entwickelt, mit dem Kunden punktgenau für jede Station die richtige Information erhalten. Das sind zum Beispiel bestehende Anschlussverbindungen, wo sich der nächste Aufzug befindet, oder ob Rolltreppen außer Betrieb sind und welche Alternativen es gibt.

Durch die Vernetzung der Daten und die Echtzeit-Kommunikation des Fahrzeugs mit der Infrastruktur ist es möglich, die Fahrgäste besser zu leiten und ein komfortables Reiseerlebnis zu bieten. Dies ist etwas, was Kunden unmittelbar wahrnehmen.

Ein weiterer wichtiger Digitalisierungsschritt ist die Vereinheitlichung der Zugsicherungssysteme – Stichwort ETCS  bzw. European Train Control System. Diese wird den grenzüberschreitenden Verkehr vereinfachen. Bei aller Vorsicht mit Superlativen: ETCS kann ein Game Changer werden, weil damit die Eigenheiten, die sich im Regelwerk mancher europäischer Länder im Lauf der Zeit entwickelt haben, endlich harmonisiert werden können. In Österreich sind wir Vorreiter und rollen diese Technologie jetzt schon für die ÖBB aus. [...]

Mit unserer Digitalisierungstechnologie und ETCS können die Abstände zwischen den Zügen minimiert werden, sogar wenn sie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Wir bereiten gerade vor, dass die Züge auf der S-Bahn Stammstrecke Wien in wenigen Jahren wie im U-Bahn-Takt fahren können. Das wird den öffentlichen Verkehr in Wien auf ein neues Level bringen – für die ÖBB und für alle Fahrgäste.[...]

 

Tanja Kienegger im e+i Interview
"Österreich bekommt bis 2038 eines der modernsten Bahnnetze der Welt."
CEO Siemens Mobility Austria

e+i:  Ihr Unternehmen zählt zu den innovativsten des Landes. Können Sie uns Beispiele für aktuelle Innovationen nennen?

Kienegger: Wir sind sehr stolz auf unsere Innovationskraft, so erhalten wir allein in Österreich im langjährigen Schnitt deutlich mehr als 30 Patente für Erfindungen für die Bahn.

Eine dieser Erfindungen sind unsere Leichtbau-Fahrwerke, die in den neuen Tag- und Nachtzügen der ÖBB zum Einsatz kommen. Die Fahrwerke wurden in Graz entwickelt und gebaut und tragen den erhöhten Nachhaltigkeitsanforderungen Rechnung: Das Fahrgestell hat um 30 % weniger Gewicht und ist damit ressourcenschonend, da in der Fertigung weniger Material verbraucht wird. Damit ist es gleichzeitig auch für die ÖBB im Betrieb effizienter, weil weniger Strom benötigt wird, um den Zug zu betreiben – und zwar über den gesamten Lebenszyklus eines Zugs, also mindestens 30 Jahre lang.

Ein weiteres Beispiel, von dem viele Fahrgäste profitieren: Wir haben mobilfunkoptimierte Fenster entwickelt. Damit werden Funkstrahlen, die wir beim Telefonieren und Surfen brauchen, durchgelassen, während andere Frequenzen, die den Zug stören könnten, abgehalten werden. Bisher war es so, dass alle Frequenzen gedämpft wurden. Mit dieser Erfindung wird die Reisequalität für alle Zugreisende erheblich verbessert.

Wer entspannt im Zug seine Lieblingsserie schaut oder sich darauf verlassen kann, dass Arbeiten problemlos im Zug möglich ist, lässt das Auto beim nächsten Mal eher zuhause stehen. Unsere Innovation trägt daher dazu bei, dass die Mobilitätswende in Österreich gelingt. Die neuen Fenster sind bereits in einigen Zügen implementiert und werden sukzessive weiter ausgerollt. [...]
 

e+i:  Sie waren bereits in Energie- und Infrastrukturunternehmen tätig und stehen heute an der Spitze eines renommierten Industriebetriebs. Wie können Sie Ihre vielfältige Berufserfahrung in Ihre aktuelle Position einbringen?

Kienegger: Ich habe bisher drei große Unternehmen in Österreich kennenlernen dürfen und in unterschiedlichen Stationen viel sehen und mitnehmen können. Das Geschäftsleben ist sehr schnelllebig geworden, was wohl nicht nur für diese drei Unternehmen gilt. Egal, ob es neue Technologien oder die Entwicklung von Märkten betrifft : Wir erleben überall eine hohe Dynamik.

Meine zentrale Erkenntnis daraus: Der wichtigste Erfolgsbaustein sind die Menschen, die Mitarbeiter:innen, das Team. Gerade als Führungskraft ist es wichtig, sichtbar zu sein, intensiv auch nach innen zu kommunizieren und Orientierung zu geben. Ich setze auf stabile, divers zusammengesetzte und gut aufeinander abgestimmte Teams, die unsere strategischen Ziele kennen. Sie tragen den Unternehmenserfolg auch in unsicheren Zeiten.


e+i:  Was war für Ihren Weg in die Technik ausschlaggebend?

Kienegger: Meine Entscheidung für den Besuch einer HTL fiel um die Jahrtausendwende. Alle sprachen damals über den Millennium-Bug und den möglichen Weltuntergang. So bin ich auf den Bereich Informatik aufmerksam geworden. Obwohl ich noch keinen Computer hatte, entschied ich mich für den Besuch einer HTL mit Informatik-Schwerpunkt.

Das Thema hat mich fasziniert, weil klar war, dass die IT-Branche einer der wichtigsten Treiber von Innovationen ist und gerade mächtig Fahrt aufnimmt. Das Interesse für das Zusammenspiel von Technik und wirtschaftlichen Fragen kam kurze Zeit später dazu und treibt mich heute noch an.

Ich finde es enorm wichtig, die Themen der Branche möglichst plastisch darzustellen und greifbar zu machen, speziell wenn es darum geht, junge Menschen zu erreichen und für technische Berufe zu gewinnen. Mir macht die Technologie jedenfalls sehr viel Spaß. Ich bin heute noch froh, dass ich mich damals für eine Ausbildung in der Technik entschieden habe.
 

Das vollständige Interview mit Tanja Kienegger lesen Sie in der neuen Ausgabe unserer Verbandszeitschrift e+i. Als OVE-Mitglied finden Sie die digitale Ausgabe in Ihrem persönlichen Login-Bereich unter "Mein OVE/Mitgliedschaft".