Im Interview für die aktuelle Ausgabe der e&i spricht GMAR-Präsident Andreas Pichler über Industrie 5.0, Künstliche Intelligenz, die Veränderung der Arbeitswelt und die Zukunft der GMAR - Gesellschaft für Mess-, Automatisierungs- und Robotertechnik.
e&i: Wir befinden uns mitten in einer industriellen Revolution, wobei Industrie 4.0 zunehmend von Industrie 5.0 abgelöst wird. Was ist unter Industrie 5.0 zu verstehen, und wie wird die Arbeitswelt der Zukunft aussehen?
Dr. Andreas Pichler: Das klassische Beispiel für die Industrie 4.0 ist die Smart Factory, also die Fabrik, die auf intelligenten Einheiten basiert, nicht nur im Werk selbst, sondern auch auf der horizontalen Ebene über den Datenaustausch mit Lieferanten etc. Aus den Projekten der letzten zehn Jahre lässt sich ablesen, dass es dabei in erster Linie um eine Optimierung der Prozesse ging, darum, ein Maximum an Qualität und Kosteneffizienz zu erreichen. Industrie 5.0 geht einen wesentlichen Schritt weiter: Die drei Kernelemente sind nun Menschenzentriertheit, Nachhaltigkeit und Resilienz. Dieser Ansatz, der auch in einem EU-Papier Anfang dieses Jahres publiziert wurde, geht somit weit über die profitbezogene Produktion von Waren und Dienstleistungen hinaus. Industrie soll Wohlstand schaffen und dabei soziale, ökologische und gesellschaftliche Überlegungen mit einschließen. So sind künftig die menschlichen Bedürfnisse und Interessen in den Mittelpunkt des industriellen Produktionsprozesses zu stellen. Anstatt zu fragen, was wir mit neuen Technologien tun können, fragen wir uns: „Was kann die Technologie für uns tun?“ Die Industrie muss auch die planetarischen Grenzen respektieren und nachhaltig sein. Dazu müssen neue zirkuläre Prozesse entwickelt werden. Es geht darum, natürliche Ressourcen wiederzuverwenden, umzufunktionieren und zu recyclen. Die Abfall- und Umweltbelastung, der Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen sind zu reduzieren, um die Bedürfnisse zukünftiger Generationen nicht zu gefährden. Resilienz bezieht sich als dritte Säule auf die Notwendigkeit, einen höheren Grad an Robustheit in der industriellen Produktion zu entwickeln. Wir müssen uns besser gegen Störungen wappnen, sicherstellen, dass auch in Krisenzeiten kritische Infrastruktur bereitgestellt wird. Brexit, geopolitische Verschiebungen, Naturkrisen oder die aktuelle Pandemie zeigen die Fragilität des derzeitigen Ansatzes der globalisierten Produktion. Wir müssen ausreichend belastbare strategische Wertschöpfungsketten, anpassungsfähigere Produktionskapazitäten und flexiblere Geschäftsprozesse entwickeln.
e&i: Wie chancenreich ist die Erfüllung dieses Industrie 5.0-Ansatzes im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, wo Europa von asiatischen Mitbewerbern immer weiter aus dem Markt gedrängt wird?
Pichler: Im Hinblick auf die angesprochene Resilienz gehe ich davon aus, dass es zu einer Umstrukturierung der Wertschöpfungsketten kommt. Man wird versuchen, Produktionswerke wieder lokal aufzubauen, wie es derzeit etwa in den USA mit Chip-Fabriken der Fall ist. In puncto Nachhaltigkeit investiert China derzeit sehr viel in Bereiche wie Elektromobilität, Photovoltaik oder Windenergie, weit mehr als Europa. Auch in die Entwicklung von Technologien wie Künstliche Intelligenz fließen dort enorme Geldsummen, was letztendlich die Gefahr birgt, dass wir hier in Europa technologisch eingeholt oder zum Teil auch überholt werden. Die EU reagiert mit einigen Programmen, etwa dem Horizon-Programm, das Themen wie Humanzentriertheit, Resilienz und Nachhaltigkeit adressiert, oder dem Programm Digital Europe, das darauf abzielt, neue Technologien und Innovationen zu den KMUs zu transferieren. KMUs sind ja das Rückgrat der europäischen Industrie. Die Frage ist allerdings: Wird das reichen? Wir sind ja leider in Europa auch Nachzügler, wenn es darum geht, in die Ausbildung jener jungen Leute zu investieren, die mit diesen neuen Technologien arbeiten und sie vorantreiben sollen.
e&i: Wie kann man den Menschen ihre Sorgen im Hinblick auf die Veränderung der Arbeitswelt nehmen, vor allem wenn sie um ihren Arbeitsplatz bangen?
Pichler: Die Automatisierung wird zunehmen, das steht fest. In Publikationen der vergangenen Jahre wird von 40 % bis 50 % der Arbeitsplätze gesprochen, die durch Automatisierung und Robotik verloren gehen. Richtig angewandt haben die neuen Technologien aber das Potenzial, dass hier neue Arbeitsplätze entstehen, die sicherer für die Arbeitnehmer/innen sind und die sowohl Arbeitszufriedenheit als auch Wohlbefinden steigern. Automatisierung kann schließlich zu einer radikalen Senkung der Unfallrate in den Top-3-Sektoren bei Arbeitsunfällen führen, Sektoren, in denen gefährliche und anstrengende Aufgaben erfüllt werden müssen. Außerdem können auch repetitive und monotone Tätigkeiten automatisiert werden, die bei Arbeitnehmer/innen zu Stress und Depressionen führen. Die Arbeitskultur wird sich auf jeden Fall ändern. Für die von der Automatisierung betroffenen Arbeitnehmer/innen werden Up-Skilling, also eine Höherqualifizierung, und Re-Skilling, die Umschulung und das Erlernen neuer Fähigkeiten, unumgänglich sein. Das liegt in der Verantwortung der Betriebe – nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts.
Das vollständige Interview mit Andreas Pichler lesen Sie in der neuen Ausgabe unserer Verbandszeitschrift e&i.