Seit 20 Jahren betreibt die steirische Virtual Vehicle Research GmbH Forschung auf Weltniveau. 320 Forscher:innen beschäftigen sich in Europas größtem Forschungszentrum für virtuelle Fahrzeugentwicklung unter anderem mit Simulationen, Digitalen Zwillingen, Batterien und Green Digital Mobility. Die e+i hat mit CEO Jost Bernasch über die Mobilität der Zukunft, das Geheimnis des Erfolgs und den Standort Österreich gesprochen.
e+i: Virtual Vehicle hat sich in den 20 Jahren zu einer österreichischen Vorzeige-Forschungsinstitution mit internationaler Bedeutung entwickelt. Wie ist es gelungen, diesen Status zu erreichen und zu halten?
Jost Bernasch: Ich konnte in meiner Zeit bei BMW viel Erfahrung sammeln, auch durch intensive Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Universitäten, und ich habe dabei viel über Freiheiten und Einschränkungen gelernt. Bei meinem Wechsel zu Virtual Vehicle war es mir dann von Anfang an wichtig, meinen Mitarbeiter:innen viel Freiraum und Eigenverantwortung zu geben. Die großteils jungen Leute konnten somit viele Dinge selbst gestalten – und durch diese Gestaltungsmöglichkeit und das Vertrauen ist eine ungemeine Kraft entstanden. Gerade in den ersten Jahren, wo wir schnell von 20 auf etwa 140 Mitarbeiter:innen gewachsen sind, war diese Kraft von initiativen und starken Persönlichkeiten enorm wichtig. Sie haben viele Ideen entwickelt, Projekte und Partnerschaften an Land gezogen und diese auch eigenständig organisiert. Ich glaube, das ist bis heute eine wesentliche Quelle des Erfolgs.
e+i: Heute beschäftigt sich Virtual Vehicle mit einer großen Bandbreite an Themen – können Sie uns einen kurzen Überblick geben?
Bernasch: Sowohl in Österreich als auch in Europa ist es ein zentrales Ziel, die Mobilität bis 2050 klimaneutral zu gestalten, und wir tragen mit fünf Säulen zur Erreichung dieses Ziels bei: automatisierte Mobilität, Elektrifizierung der Infrastruktur – vom elektrifizierten Antriebsstrang bis zur Energiebereitstellung und dem Zusammenspiel der Ladeinfrastruktur –, Personen- und Gütertransport im Rail-Bereich sowie aktive Mobilität, also Schutz von verletzlichen Verkehrsteilnehmer:innen wie Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Eine der wesentlichen Technologien hinter diesen Säulen ist die Systemsimulation, die so genannte Credible System Simulation. Wir entwickeln Möglichkeiten, komplexe Systeme in Simulationen abzubilden und sie vertrauenswürdig, robust und stabil zu machen, damit sie möglichst viele Hardware-Tests ersetzen können. Dazu gehört nicht nur die bereits angesprochene Co-Simulation, sondern auch eine virtuelle Validierung, mit der viel Zeit und Geld eingespart werden kann. Die zweite Technologie, das Digital Twin Network, wird oft mit einem reinen Simulationsmodell verwechselt, ohne zu bedenken, dass es dazu tatsächlich einen physischen Zwilling, ein reales Objekt braucht. Der Digital Twin bekommt immer Messwerte von einem realen Objekt und baut diese in sein Simulationsmodell mit ein, um genau dieses individuelle Modell widerzuspiegeln. Das ist etwas, was sowohl im Automotive- als auch im Rail-Bereich forciert wird. Gerade im Rail-Sektor kann durch diese Digitalisierung des Systems Bahn ein großes zusätzliches Potenzial an Transportleistung ausgeschöpft und damit eine CO2-reduzierte elektrifizierte Mobilität noch besser genutzt werden. Eine dritte Technologie, die zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der so genannte Knowledge Graph, der die Verbindung von Daten aus zig Datenbanken ermöglicht, sodass Entwicklungsingenieur:innen und auch Manager:innen die für sie relevante Sicht auf die Daten bekommen und daraus Entscheidungen ableiten oder Informationen für die Entwicklungsarbeit gewinnen können.
e+i: Wie wird die Mobilität der Zukunft aussehen? Welche Antriebsform wird sich aus Ihrer Sicht durchsetzen?
Bernasch: Ich persönlich glaube, dass ein Mix unterschiedlicher Ansätze und Technologien notwendig ist, und zwar weltweit gesehen. Erfolgreiche Forschung muss neutral und ergebnisoffen sein. Wir können nicht nur die 400 Mio. Europäer:innen betrachten und die restlichen 7,8 Mrd. Menschen außen vor lassen, das ist zu kurz gedacht. Wir haben eine Milliarde Fahrzeuge weltweit, und die Frage muss lauten: Wie kann ich es schaffen, dass zumindest ein Teil davon möglichst rasch mit CO2-reduziertem oder CO2-neutralem Antrieb fährt? Die Elektromobilität ist ein wichtiger Schlüssel, im Technologiemix spielen aber sicher auch Wasserstoff oder E-Fuels eine Rolle. Bei Virtual Vehicle beschäftigen wir uns primär mit batterieelektrischen Fahrzeugen und sind sehr aktiv im Bereich Batterieforschung, Batteriesicherheit etc.
e+i: Was zeichnet Österreich als Standort aus?
Bernasch: Für ein im europäischen Vergleich doch kleineres Land haben wir in Österreich im Bereich Automobil- und Rail-Technologien sehr viele großartige Firmen und Industriebetriebe, einige davon sind Weltmarktführer in ihrem Bereich – was oft gar nicht so bekannt ist, vor allem im Rail-Sektor. Einige unserer Kooperationspartner in anderen europäischen Ländern beneiden uns außerdem um das österreichische COMET-Programm, um die kooperative Forschung, die damit gefördert wird. Was ich mir wünschen würde: Dass erfolgreiche Forschung auch konsequent weiter forciert wird und dass man sich bei der Forschung und Forschungsförderung nicht in einer Kleinteiligkeit mit zig verschiedenen Forschungsprogrammen verliert. Wenn Europa eine internationale Spitzenstellung erreichen möchte, müssen wir Stärken ausbauen; das gilt für die Industrie, für die Universitäten und auch für Forschungszentren. Nur so kann man bei Technologien und Innovationen ganz vorne dabei und nicht nur Fast Follower sein.
Das vollständige Interview mit Jost Bernasch lesen Sie in der neuen Ausgabe unserer Verbandszeitschrift e&i. Als OVE-Mitglied finden Sie die digitale Ausgabe in Ihrem persönlichen Login-Bereich unter "Mein OVE/Mitgliedschaft".
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