Von der Automatisierungstechnik über Computertechnik und Mechatronik mit einem Zwischenstopp in den Bereichen Dolmetsch und Marketing über High Tech Manufacturing bis hin zur E-Mobiltität – so lässt sich das bislang sehr bewegte Berufsleben von Natalie Gemovic kurz und bündig zusammenfassen. Immer im Vordergrund: Die spürbare Freude an all ihrem Tun, die wohl auch der Schlüssel für ihren Erfolg ist. Natalie Gemovic ist im besten Sinne des Wortes ein technisches Role Model und erzählt im OVE Fem-Interview von Beweggründen, Herausforderungen und Erfolgen.
OVE Fem: Nach der Pflichtschule in Österreich wechselten Sie auf eine Höhere Technische Lehranstalt für Elektrotechnik in Serbien und fokussierten auf den Ausbildungszweig Automatisierungstechnik. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen kulturellen und schulischen Wechsel?
Natalie Gemovic: Prägend war, dass ich binnen zehn Tagen eine neue Schrift erlernt habe und meine Sprachkenntnisse in kürzester Zeit auf das Niveau eines Muttersprachlers ausbauen konnte. Was mich allerdings faszinierte war, dass ich Mathematik auch mit meinen vorhandenen Mini-Sprachkenntnissen meistern konnte und sie mir extrem viel Spaß machte – so wie auch Chemie. Hier durfte ich auch zu Wettbewerben gehen und knifflige Fragen lösen.
OVE Fem: Warum fiel Ihre Wahl auf den Zweig Automatisierungstechnik? Welche Erwartungen hatten Sie und wurden diese im Rahmen Ihrer Ausbildung erfüllt?
Gemovic: An meiner technischen Ausbildung sind meine Eltern nicht ganz unschuldig. Grundsätzlich wollte ich etwas mit Computern machen. Beim Tag der offenen Tür wurde mir gesagt, dass ich mit Automatisierungstechnik richtig wäre. Anfänglich war ich etwas enttäuscht, weil die Ausbildung nicht ganz meinen Erwartungen entsprach. Ich wollte mehr in Richtung Netzwerktechnik, Programmieren und Computer-Hardware gehen. Allerdings lernte ich während der Ausbildung wesentlich mehr: Elektronik, Elektromotoren, Sensorik und Aktorik und noch manches andere.
Es gab jährlich Wettbewerbe aus dem Fach Elektrotechnik, und es war mir eine Ehre, als Einzige aus der Klasse ausgewählt worden zu sein, um daran teilzunehmen. Als einziges Mädchen in der Klasse war es anfänglich etwas ungewohnt; vor allem im Turnunterricht, wenn die zweimal jährlichen Fitnessüberprüfungen stattgefunden haben – hier hatte ich keine Orientierung, keine Vergleichsmöglichkeiten. Dafür umso mehr in Mathematik und den Fachgegenständen.
OVE Fem: Nach Ihrer Ausbildung starteten Sie Ihre berufliche Laufbahn als selbstständige Computertechnikerin und EDV-Lehrerin – welche Motivation steckte dahinter?
Gemovic: Ich habe nach der HTL noch eine Computertechniker-Spezialisierung drangehängt, weil mir das in der Ausbildung einfach noch fehlte. Ich wollte unbedingt Computer zusammenbauen und reparieren und mein Wissen an Menschen weitergeben. Jemandem etwas beizubringen ist eine kreative Arbeit; es zauberte mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich gesehen habe, dass Erklärtes verstanden wurde und angewendet werden konnte.
OVE Fem: Nach einem beruflichen Ausflug in die Welt der Sprache – Tätigkeiten als Dolmetscherin und Übersetzerin – und in weiterer Folge in den Bereich Marketing und Vertrieb, kehrten Sie wieder in Richtung ursprüngliche Ausbildung zurück und arbeiteten als Mechatronikerin im Kundendienst. Was war in dieser Phase besonders prägend für Sie?
Gemovic: Ich bin sehr dankbar, dass mich mein Leben forderte und auch in die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche brachte. Ich musste jedes Mal ein Stück weiter aus meiner Komfortzone heraustreten und mich im neuen Umfeld orientieren. Aus jedem der Bereiche konnte ich wertvolles Wissen mitnehmen und es in andere Bereiche einfließen lassen.
Als Mechatronikerin im Kundendienst erlebte ich viele unterschiedliche Reaktionen. Die einen freuten sich, eine Technikerin zu sehen und wollten wissen, wie ich zu diesem Beruf gekommen bin, was mich dazu bewegt hat usw. Anderen war es egal – Hauptsache das Gerät funktionierte danach wieder. Eine Handvoll Leute waren dabei, die sich teils lustig machten oder versuchten, mich zu provozieren. Da war es mir dann ein Vergnügen, nach der Reparatur mit einem Lächeln im Gesicht eine Geräteübernahme durchzuführen und jene Personen auf ihre Bemerkungen aufmerksam zu machen, weil ich wusste, dass ich meine Arbeit richtig gemacht habe.
OVE Fem: Mit dem Beginn des Studiums „High Tech Manufacturing“ an der FH Campus Wien schlugen Sie einen neuen Weg ein. Wie kam es dazu?
Gemovic: Aufgrund meiner Karenzzeit war ich zwei Jahre außerhalb des technischen Geschehens, und eine Außendiensttätigkeit kam durch die familiäre Veränderung nicht mehr in Frage. Ich wollte mich neu orientieren und mich vor allem im technischen Bereich weiterentwickeln.
Meine Wahl fiel auf „High Tech Manufacturing“, weil der Studienplan breit gestreut ist, mit den unterschiedlichsten Fächern aus der Technik. Dies schien mir eine gute Möglichkeit, um wieder an den Puls der Zeit zu kommen und auch in die Zukunftstechnologien blicken zu können.
OVE Fem: Studienbegleitend engagierten Sie sich im Os.car Racing Team – was trieb Sie an, was forderte Sie heraus?
Gemovic: Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich sah, dass im Studiengang ein Rennteam beworben wurde, wo jeder freiwillig mitwirken kann. Das war für mich so ein „Wow“-Moment – einmal im Leben einen Rennwagen konstruieren, fertigen und mit dem Team auf Wettbewerbe fahren zu können, war schon eine sehr coole Gelegenheit.
Ich wollte einfach all meine Erfahrungen und mein Wissen in dieses Team einfließen lassen. Anfänglich war ich mir nicht sicher, wie ich alles unter einen Hut bringen sollte – alleinerziehend, Studium und dann noch Teamarbeit. Doch bald fand sich ein Modus, und ich nahm meine Tochter mit in die Werkstatt und zu den Teammeetings.
Ich fing als Teammitglied an, wurde Head of Powertrain und übernahm danach das gesamte Team – zwei Jahre in Folge. In dieser Zeit wuchs das Team auf knapp 45 Personen aus unterschiedlichen Studiengängen.
Ein freiwilliges Team zu koordinieren, war sehr lehrreich. Der Erfolg der intensiven Arbeit war, dass wir auf der Rangliste 100 Plätze nach oben rückten. Im Grunde leitete ich in diesen zwei Jahren ein Unternehmen, musste die Teammitglieder motivieren, auf das Budget achten, mit Sponsoren in Kontakt treten, zwischenmenschliche Konflikte lösen bzw. vorbeugen, Projektkrisen bewältigen, technische Lösungen auf den Boden bringen und war Schnittstelle zur FH Campus Wien
OVE Fem: Gleich nach Abschluss Ihrer Masterarbeit bekamen Sie die Möglichkeit, bei Wien Energie im Backend and eMobility Services Development einzusteigen – dem Bereich E-Mobilität sind Sie bis heute treu geblieben. Worin bestehen hier Ihre Aufgaben?
Gemovic: Nachdem ein Studienkollege und ich bei der Future Work Challenge der Wiener Stadtwerke den ersten Platz erreicht hatten, erhielt ich die Möglichkeit im Bereich der E-Mobilität Fuß zu fassen – ein für mich neuer Tätigkeitsbereich, der die technische Produktentwicklung und Projektleitung umfasst.
In einem Team von engagierten Personen analysieren und entwickeln wir neue Produkte für unsere Kund*innen im Bereich der E-Mobilität. Wir erarbeiten Prototypen und bringen diese in die Serie. Meine Tätigkeit ist ein Potpourri aus dem Definieren von Anforderungen, Finden technischer Lösungen unter bestimmten Rahmenbedingungen, Detektivarbeit bei Fehlersuche, Kreativität bei Optimierungsthemen, Wissensweitergabe, Analysetätigkeiten und alles, was unter Projektleitungstätigkeiten fällt, wie Koordination, Organisation und Führung.
Aufgrund meiner Tätigkeit wurde ich auch vom BMK zur FEMTech Exptertin des Monats September 2022 gekürt, von der FH Campus Wien zum Future Hero 2022 nominiert und im Rahmen der Konferenz der Mechatronik Plattform 2023 zum Local Hero gekürt. Meine Tätigkeit macht mir Spaß, und ich bin froh und glücklich, in einem so großartigen Team arbeiten zu können.
OVE Fem: Herzliche Gratulation zu all diesen Auszeichnungen! Vor kurzem folgten Sie dem Aufruf von OVE Fem, sich ehrenamtlich auch im Bereich der Normung einzubringen – die was hat Sie dazu bewogen?
Gemovic: Ich finde den Bereich der Normung wichtig, weil er Rahmenbedingungen für technische Lösungen bietet. Ich hoffe, mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen tatkräftig unterstützen zu können und bin mir sicher, dass ich auch hier noch viel dazu lernen werde.
OVE Fem: Sie brennen für die Technik, geben Ihr Wissen gerne weiter und setzen sich für mehr Frauen in der Technik ein – ein Role Model im wahrsten Sinne des Wortes. Wie schaffen Sie es, Ihren Berufsalltag mit Ihrem Privatleben in Einklang zu bringen?
Gemovic: Es freut mich, wenn der Funke zur Technik von mir auf andere überspringt. Role Model wollte ich eigentlich nie eines werden. Ich habe beruflich immer nur getan, was mir Spaß macht und das mit vollem Einsatz – und dabei habe ich meine Freude mit anderen geteilt.
Ich denke, meine Begeisterung dürfte dann doch ansteckend sein. Berufsalltag und Privatleben bringe ich sehr gut in Einklang, auch durch eine hervorragende Homeoffice-Regelung und flexible Arbeitszeiten, was ich sehr zu schätzen weiß.
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