Wissenschaftsfeindlichkeit ist lebensgefährlich. In den USA ist die Übersterblichkeit bei Anhängern der Republikaner seit Verfügbarkeit der Covid-Impfung deutlich höher als die der Anhänger der Demokraten[1]. Diese Übersterblichkeit entspricht ungefähr 60.000 zusätzlichen Toten und hat sehr wahrscheinlich kausal mit der höheren Impfgegnerschaft und Wissenschaftsfeindlichkeit im republikanischen Lager zu tun.
International vergleichende Daten aus Europa zeigen in eine ähnliche Richtung. Deshalb ist es wichtig zu fragen: Wovon hängt Wissenschaftsfeindlichkeit ab und was kann man dagegen tun?
Zu den Faktoren, die Wissenschaftsfeindlichkeit begünstigen, gehören:[2]
Populistische und identitätspolitische Strömungen von beiden Extremen des politischen Spektrums haben sicherlich durch Post-Truth-Mentalität und stärker an Emotionen und personalen Identitäten als an objektiven Fakten orientierte Argumentationen Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft befördert; dies zeigt ja auch das eingangs beschriebene Beispiel aus den USA.
Betrachtet man aber mehrere Faktoren der Wissenschaftsfeindlichkeit im Zusammenhang und im direkten Vergleich, zeigt sich eine größere Bedeutung der kognitiven Stile, insbesondere des analytischen Denkens, im Vergleich zu politischen Überzeugungen im Hinblick auf die Begünstigung wissenschaftsfeindlicher Haltungen[3].
Analytisches Denken bewahrt dabei nicht nur vor der Ablehnung valider wissenschaftlicher Befunde, sondern auch vor der unkritischen Übernahme unzutreffender Behauptungen, bis hin zur Neigung, sogar – eigentlich – offensichtlichen Unfug für profunde Erkenntnis zu halten („Pseudo-Profound Bullshit“).
(Natur-)wissenschaftliche Bildung – Science Literacy – ist auch wichtig, reicht aber alleine nicht aus. Das bloße Wissen über wissenschaftliche Erkenntnisse, ohne tiefes Verständnis wissenschaftlicher Arbeitsweisen und Methoden, bewahrt nicht davor, aus dem Fundus wissenschaftlichen Wissens unkritisch die jeweils mit den eigenen Vorurteilen verträglichen Elemente herauszupicken – oder sogar valides Wissen mit pseudo-wissenschaftlichen Versatzstücken zu vermischen.
Über breitenwirksame Medien kontinuierlich bereitgestellte valide Informationen über relevante wissenschaftliche Erkenntnisse – etwa zum Klimawandel und zu Pandemien wie Covid-19 – sind wichtig und helfen vielen Menschen dabei, die Faktenlage zutreffend einzuschätzen.
Die Wirkung solcher valider Informationen lässt allerdings über die Zeit nach und kann durch konkurrierende (Des‑)Information, die Skepsis über die wissenschaftlichen Erkenntnisse verbreitet, relativ leicht konterkariert werden[4]. Bei Menschen mit extrem ausgeprägten antiwissenschaftlichen Überzeugungen kann valide Information sogar, als überschießende Abwehrreaktion, eine Verstärkung der wissenschaftsfeindlichen Haltungen bewirken.
Kritisches, reflektierendes, analytisches Denken ist also zentral. Es muss früh gefördert werden, bevor sich wissenschaftsfeindliche Haltungen verfestigen können.
[1] Jacob Wallace/Paul Goldsmith-Pinkham/Jason L. Schwartz: Excess Death Rates for Republicans and Democrats During the Covid-19 Pandemic. Cambridge, MA 2022 (=NBER working paper series).
[2] Aviva Philipp-Muller/Spike W. S. Lee/Richard E. Petty: „Why are people antiscience, and what can we do about it?“. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 119 (2022), e2120755119.
[3] Gordon Pennycook/Bence Bago/Jonathon McPhetres: „Science beliefs, political ideology, and cognitive sophistication“. In: Journal of experimental psychology. General (2022).
[4] Brendan Nyhan/Ethan Porter/Thomas J. Wood: „Time and skeptical opinion content erode the effects of science coverage on climate beliefs and attitudes“. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 119 (2022), e2122069119.
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